Die Instandhaltung bei der Salzgitter Flachstahl (Teil II)

09.02.2022 | Salzgitter Flachstahl GmbH


Die dreiteiligen Artikelserie betrachtet die verschiedenen Aspekte der Instandhaltung und ihre heutige Bedeutung. Während Teil I die historische Entwicklung beschrieb, zeigt Teil II, wie die Instandhaltung die Produktion im integrierten Hüttenwerk der Salzgitter Flachstahl absichert.

Vernetzte Produktionsprozesse

Das integrierte Hüttenwerk in Salzgitter gleicht einem komplexen Organismus. Von der Sinteranlage bis zur Bandbeschichtung sind die Anlagen technisch, energetisch und logistisch eng miteinander verbunden. Tritt bei einem Aggregat eine Störung auf, kann diese das Funktionieren der gesamten Prozesskette gefährden. Deswegen arbeiten die Experten der Produktion und Instandhaltung Hand in Hand. „Beide Bereiche sind die Säulen der Stahlherstellung in Salzgitter. Unser Fokus liegt ganz klar auf Anlagenverfügbarkeit und qualitätsgerechter Produktion“, sagt Gerd Baresch, Werksbereichsleiter für den Technischen Service, Energie, IT und Umweltschutz bei der Salzgitter Flachstahl. Dieses Konzept einer integrierten Prozess- und Anlagentechnik (iPAT) im Hüttenwerk versteht Gerd Baresch als Sinnbild einer modernen Instandhaltung. Hierbei muss seine Abteilung das Zusammenspiel der dezentralen und zentralen Instandhaltung mit den externen Fachfirmen dirigieren wie ein Orchester. Denn es gilt, die Einsätze verschiedener Instrumente und Solisten zu koordinieren – vom 130er-Schraubenschlüssel der Anlagenmontagetechnik bis zum Tablet für Instandhaltungsmeldungen, vom Schaltplan und Fehlersuchbaum bis zur KI-Anwendung („künstliche Intelligenz“) für die Analyse der Prozessstabilität beim Warmwalzen, von der IT-Infrastruktur bis zur Energie- und Medienversorgung, dazu alle nötigen Wartungsgänge und Reserveteilbuchungen und vieles mehr.

Schon bei der Planung neuer Anlagen ist die Instandhaltung gefragt

Moderne Instandhaltung beinhaltet aber nicht nur die schnelle, effiziente und kostengünstige Beseitigung einer Störung. Sie beginnt viel früher – bereits bei der Planung und Gestaltung schlanker, fehlerarmer Prozesse. Die Kunst ist es, Lösungen zu finden, bevor ein Problem groß und seine Beseitigung teuer wird. „Die wahren Heldinnen und Helden der Instandhaltung sind daher kompetente Fachleute und eher stille Personen. Ihr Job ist dann am besten getan, wenn die Anlagen und Prozesse zuverlässig laufen und keine spektakulären Schadensfälle beseitigt werden müssen“, sagt Stefan Thelen, Leiter der Anlagentechnik des Bereichs Kaltflach.

Die Mitarbeiter der Instandhaltung müssen hierfür auch die übergreifenden Zusammenhänge der Anlagen kennen. „Dabei ist es wichtig, in Prozessen und logisch zu denken und Schwachstellen eigenverantwortlich auszumerzen – ob mit einer einfachen mechanischen Vorrichtung oder mithilfe einer digitalen Anwendung“, so Thelen.
Zur Sicherung der Anlagenverfügbarkeit wenden sie drei verschiedene Strategien an: die reaktive, zustandsbezogene und vorbeugende Instandhaltung. Die reaktive Instandhaltung ist die Antwort auf eine zwar nicht erwartete, aber durchaus eingeplante Störung. So kann zum Beispiel eine Pumpe betrieben werden, bis sie ausfällt. Dann wird auf eine vorhandene Reservepumpe umgeschaltet und die defekte repariert oder ausgetauscht. Doch nicht immer steht ein Ersatzaggregat in Wartestellung. In solchen Fällen ist eine zustandsbezogene Instandhaltung angebracht. Sie erfordert allerdings fundiertes Wissen und die Fähigkeit, den Zustand einer Anlage einschätzen zu können. „Dieses Wissen leiten wir aus vernetzten Sensoren, Betriebsstatistiken, Condition-Monitoring-Systemen und Rückmeldungen von Mitarbeitern ab, wobei ‚aus Fehlern lernen‘ ein fester Bestandteil unserer Methodik ist“, erklärt Gerd Baresch. Im integrierten Hüttenwerk erzeugen Zehntausende Sensoren in allen Anlagen der Prozesskette im Millisekunden-Takt Messwerte, die mithilfe von mehr als 2.000 Servern je nach Anwendungsfall aufbereitet, analysiert, visualisiert, weiterverarbeitet und gespeichert werden. Die zustandsbezogene Instandhaltung beruht folglich auf Messdaten und deren Auswertung, die konkrete Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit einer kommenden Störung liefern. Im Gegensatz dazu basiert die vorbeugende Instandhaltung auf einem festgelegten Fahrplan mit zeitlich vorgeschriebenen Wartungsintervallen, die auch ohne Anzeichen für mögliche Störwahrscheinlichkeiten durchzuführen sind. Sie findet insbesondere bei Engpassaggregaten statt, deren Ausfall die Prozesskette der Produktion unterbrechen könnte. Hierbei ist nicht nur ein ausreichendes Fachwissen über den technischen Zustand der Anlagen gefragt, es müssen auch die Kunden-, Produktions- und Reserveteil-Logistik berücksichtigt werden, was an die Instandhaltung hohe Anforderungen stellt – sowohl technisch-fachlich als auch organisatorisch und betriebswirtschaftlich: Fachpersonal muss verfügbar sein, das benötigte Ersatzteil ebenfalls, und schließlich sollen alle Kunden trotz des geplanten Produktionsstillstandes pünktlich ihr Material erhalten.

Digitale Werkzeuge und Hilfsmittel

Um alle diese Vorgänge und Faktoren zu kontrollieren und zu steuern, nutzen die Fachleute der Instandhaltung bei ihren Entscheidungen digitale Werkzeuge und Hilfsmittel. Die Einsätze des Fachpersonals planen sie mithilfe eines digitalen Kapazitätsleitstandes, Reparaturmaßnahmen bereiten sie im SAP-System vor, und Fremdfirmeneinsätze werden in digitalen Workflows abgerechnet. Die Salzgitter Flachstahl hat für ihre Anlagentechnik sogar eine eigene App entwickelt, um Wartungsabläufe zu digitalisieren. Noch deutlicher offenbart sich der Nutzen der Digitalisierung für die Instandhaltung in der „VR-Cave“ des Salzgitter-Konzerns. In diesem speziellen Raum lässt sich eine virtuelle Realität auf die Rundum-Leinwand projizieren und so die Wahrnehmung einer zwar künstlichen, aber realitätsnahen Umgebung herstellen: Dort sieht, erlebt und testet man Dinge, die es noch gar nicht gibt. „Wir können hier 3D-Modelle aller Aggregate bis hin zu einer einzelnen Schraube visualisieren“, berichtet Peter Sieland, Salzgitter Flachstahl und Leiter Digitale Fabrik.
Bewährt hat sich die Cave zum Beispiel bei Neu- und Umbauten von Anlagen: Tritt in der Simulation ein Problem zutage, zum Beispiel weil ein bestimmter Bereich für einen Kranfahrer nicht einsehbar ist oder für die Instandhaltung nicht genügend Platz bleibt, um im Zuge der Wartung eine Pumpe oder ein Ventil auszutauschen, kann die Planung korrigiert werden. „Man kann sich leicht ausrechnen, wie viel Geld das spart, wenn man solche Probleme schon in der Konstruktionsphase ausräumt und nicht erst später, wenn die Anlagen bereits stehen und ein Umbau oder Verzögerungen Kosten verursachen“, sagt Gerd Baresch und fügt hinzu: „Nicht zu vergessen, dient die digitale Virtualisierung auch dem Training.“ Man könnte also sagen: Die Cave ist eine Art Flugsimulator für Instandhalter.

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