Gas für Europa

31.03.2017


Konzernmagazin Nr. 1/2017

Lange Leitung

Das war Teamarbeit!

Vom Handel bis zum Rohrbiegewerk Mülheim: Für den TAP-Großauftrag zogen Gesellschaften der Salzgitter AG und mehrere Partner an einem Strang

Als der Großauftrag eingetütet war, hieß es für die Verantwortlichen bei Salzgitter Mannesmann International (SMID) erst einmal durchatmen: Schließlich hatten sie ein Riesenpaket zu schnüren, um diese zwei Verträge abschließen zu können: die Produktion und Lieferung von 270 Kilometern Großrohren und 1.559 Rohrbögen mit einer Gesamttonnage von rund 170.000 t für den Onshore-Bereich der Trans-Adria-Pipeline (TAP) in Albanien. Zweitens mehr als 71.000 t Großrohre für den 105 Kilometer langen Offshore-Teil der Pipeline von der albanischen Küste nach Italien. Ebenfalls im Paket enthalten waren Beschichtungsdienstleistungen sowie die Lieferung der für den Korrosionsschutz nötigen Opferanoden und der Verformungsschutzrohre („Knickstopper“), die bei Offshore-Pipelines unverzichtbar sind.
 
Ian Bradshaw, Managing Director des TAP-Konsortiums, gratulierte Salzgitter Mannesmann International zum Vertragsabschluss und sagte: „Für unsere Ausschreibung hatten wir einen sehr harten und strengen Auswahlprozess angewendet – und das werden wir auch weiter so handhaben. Denn wir wählen nur gesunde Unternehmen aus, deren technische Kompetenz und Sicherheitsstandards uns überzeugen.“

Kooperation als Erfolgsschlüssel

Mannesmann International (SMID) weitere Unternehmen und Salzgitter-Gesellschaften beteiligt. Die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg produzierten den Stahl in der Werkstoffgüte L485 und gossen ihn in Brammen. Über die Mannesmannröhren-Werke ist die Salzgitter AG mit 30 % an den HKM beteiligt. Salzgitter Mannesmann Grobblech in Mülheim walzte die Brammen aus Duisburg zu Blechen aus. EUROPIPE wiederum – ein Joint Venture, an dem zu je 50 % der Salzgitter-Konzern und die AG der Dillinger Hüttenwerke beteiligt sind – fertigte aus diesem Grobblech die längsnahtgeschweißten Großrohre. „Diese Rohre werden von uns schließlich induktiv in unterschiedlichsten Biegewinkeln gebogen“, sagt Frederik Schröter, Betriebsleiter des Rohrbiegewerks in Mülheim.
 
Für Elke Muthmann, Betriebschefin des Rohrbiegewerks, liegt der Grund für die Auftragserteilung in der erfolgreichen Kooperation all dieser Unternehmen und Gesellschaften: „Wir konnten eine Konzernlösung anbieten. Da passten nicht nur die Produkte zusammen – auch die Koordination klappte viel reibungsloser. Und das weiß der Kunde gerade bei einem ehrgeizigen Zeitkorridor außerordentlich zu schätzen.“

Der TAP-Auftrag war für das Rohrbiegewerk der größte Auftrag in der 30-jährigen Firmengeschichte und beschäftigte die 50 Mitarbeiter von November 2015 bis Anfang 2017 rund um die Uhr. Die fertigen Bögen wurden noch einer sogenannten Anlasswärmebehandlung unterzogen, damit sie die werkstoffspezifischen Eigenschaften erhielten. Anschließend wurden sie innen mit Epoxy- Flowcoat und außen mit Polyurethan beschichtet.
 
Das große Liefervolumen stellt hohe Anforderungen an die Fertigungs- und Lieferkapazitäten des Rohrbiegewerks. Pro Tag konnten acht bis zwölf der zwischen 1.680 und 8.050 Kilo schweren Rohrbögen produziert werden. Das ist umso bemerkenswerter, als der Zeitplan sehr eng gesteckt war. Joern Hoppe, in der Verkaufsabteilung des Rohrbiegewerks der Projektbetreuer für den TAP-Auftrag, erinnert sich: „Die Anfrage erreichte uns am 3. März 2015, am 24. September wurden die Verträge unterzeichnet, und schon am 2. November haben wir das erste Rohr gebogen.“
 
Eine Erfolgsstory, die auch den Anlegern Freude bereitete: Nach Bekanntgabe des Auftrags legten die Salzgitter-Aktien an einem Mittag um mehr als 3 % zu.


Operation Kundenzufriedenheit

Der TAP-Auftrag stellt hohe Ansprüche an Logistik und Service

Als der Greifer das letzte Großrohr von der Ladefläche des Lkw hebt und vorsichtig in das vorbereitete Kiesbett absenkt, kommentiert Steffen Hillig von Salzgitter Mannesmann International (SMID) diesen finalen Akt mit einem zufriedenen Nicken. Wieder ist eine Ladung pünktlich und vertragsgemäß in Durrës angekommen. Wieder haben die Produkte ihren Weg von Duisburg über Mülheim und Brake nach Albanien gefunden. Mit dem Abladen im Lager endet seine Verantwortlichkeit für die erfolgreiche Vertragserfüllung.
 
Seit März 2016 wurden planmäßig in 18 Verschiffungen ab dem Ladehafen Brake die Großrohre und Bögen ausgeliefert, die für den Bau der Trans-Adria-Pipeline bestimmt sind. Alle Produktions- und Liefertermine wurden und werden eingehalten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Faktoren und Unabwägbarkeiten können einer erfolgreichen Vertragserfüllung gefährlich werden. „Die größte Herausforderung dabei ist, die geforderte Menge zur gewünschten Zeit zum vereinbarten Ort zu dirigieren“, sagt Steffen Hillig.
 
So musste zum Beispiel der benötigte Schiffsladeraum kalkuliert und aufgeteilt werden. Neben der Planung gehört aber auch die Durchführung zu einer erfolgreichen Logistik. Steffen Hilligs Verantwortlichkeit für den Transport beginnt an der Hafenkante in Brake. Hier an der Unterweser zwischen Bremen und Bremerhaven werden die Rohre und Bögen auf Massengutfrachter wie den „RED JACKET“ verladen. Es dauert rund zwei Wochen, bis das Schiff nach seiner Fahrt durch Nordsee, Atlantik und Mittelmeer in der albanischen Hafenstadt Durrës einläuft.
 
Zum Vertrag gehört es, dass der Transport vollständig dokumentiert wird. So muss Steffen Hillig die TAP-Verantwortlichen nicht nur über Abfahrten, Ladung, Ladekapazitäten und Ankunftszeit informieren, sondern auch regelmäßig über den Stand der Dinge an die TAP-Projektleitung berichten. Mitunter sendet er täglich Positionsmeldungen des Frachters ins TAP-Hauptquartier. „Das ist aber alles kein Problem, bislang haben wir alle Lieferungen vertragskonform hinbekommen, und auch den Rest werden wir sicherlich sauber abwickeln können“, sagt Steffen Hillig.

Über die Kooperation zwischen den verschiedenen Unternehmen und Gesellschaften, die am TAP-Auftrag beteiligt sind, kann Steffen Hillig nur Positives berichten: „Jeder Partner hat eine außerordentliche Flexibilität bewiesen und war in der Lage, schnell auf Unvorhersehbarkeiten zu reagieren. Wichtig war vor allem, dass jeder für den anderen Verständnis zeigte. Auch die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber hat sehr gut funktioniert.“ Aussagen, die eine Anleitung für den nächsten Großauftrag sein sollten, damit auch die kommende „Operation Kundenzufriedenheit“ zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden kann.


Rohr um Rohr

STIL besuchte die Baustelle der Trans-Adria-Pipeline in Albanien

Wenn einmal das letzte Rohr verschweißt, das letzte Camp abgebaut und der letzte Arbeiter abgereist ist, wird man feststellen, dass Albanien nicht mehr das Land ist, das es vor dem Pipelinebau war. Schon heute treiben Bauern ihre Herden auf planierten oder gar asphaltierten Straßen zu Weideplätzen, die seit Menschengedenken nur über schlammige Feldwege zu erreichen waren. Und Kraftfahrer lenken ihre Lkw über Brücken, die sie früher nicht einmal zu betreten gewagt hätten.
 
Bevor die ersten Pipelinerohre nach Albanien verschifft werden konnten, musste das TAP-Konsortium die Infrastruktur des Landes aufbessern, damit Lkw die Rohre, Maschinen und Bagger zu den Lagern und an die Baustellen transportieren konnten. Schon 2015 begannen mehr als 600 Arbeiter damit, rund 175 Kilometer Straße zu modernisieren oder neu zu bauen. Auch mussten 40 Brücken erneuert und zwei sogar extra für das Projekt errichtet werden.
 
So erreichen wir über eine frisch planierte Straße zwar gut durchgeschüttelt, aber wohlbehalten das TAP-Hauptquartier unweit der südalbanischen Stadt Fier – noch nicht ahnend, welche Schlaglöcher uns später noch durchrütteln werden. STIL begleitete Maria Mougtousidou, Carolina Eidt und Steffen Hillig von Salzgitter Mannesmann International (SMID) nach Albanien. Die drei waren und sind für die Ausschreibung, die Projektabwicklung und den Transport der Rohre verantwortlich und wollten einmal mit eigenen Augen sehen, wie die Rohre, die in Duisburg und Mülheim produziert sowie gebogen und in Brake verschifft wurden, in Albanien zu einer mehr als 200 Kilometer langen Pipeline zusammenwachsen.

Bären, Schlaglöcher und stählerne Würmer

Das TAP-Hauptquartier entpuppt sich als ein Containerdorf, das von einer kleinen Mauer und Stacheldraht geschützt ist. Alle Geländefahrzeuge sind rückwärts eingeparkt, damit sie im Notfall sofort losbrausen können. Sicherheit wird beim TAP-Projekt großgeschrieben. Wir werden kein Gelände ohne Sicherheitshelm, -brille, -weste und -schuhe betreten. Doch bevor wir überhaupt nur einen Schritt machen dürfen, erhalten wir eine halbstündige Sicherheitseinweisung, die kein Detail auslässt. So erfahren wir zum Beispiel, was zu tun ist, falls wir einem Bären begegnen. Bären? Leben die nicht im Zoo? Sollte einer unseren Weg kreuzen, dürfen wir ihn weder anschauen noch davonlaufen, hören wir. „Sonst glaubt er, ihr wärt Futter“, sagt der TAP-Sicherheitseinweiser mit einem Lächeln. Wir beteuern, im Angesicht des Bären cool und tapfer zu bleiben, schielen aber heimlich auf die für uns bereitliegenden Schuhe, Westen, Helme und Brillen. Ob die uns auch vor Bären schützen?
 
Welche guten Dienste uns zumindest die Schuhe leisten, erfahren wir auf der nahe gelegenen Baustelle, die wir wenig später ansteuern. Um nicht missverstanden zu werden: „Nahe gelegen“ meint „wenige Kilometer entfernt“, aber gewiss nicht „schnell erreichbar“. Denn es dauert, bis unser Fahrer mit Mut, Geschick und Durchsetzungsfähigkeit den Slalom bis zur Baustelle gemeistert hat. Wir müssen ihn gar nicht erst fragen: Dies war offensichtlich kein Weg, der für die TAP-Lkw modernisiert wurde.
 
Die letzten Meter bis zur Pipeline gehen wir zu Fuß. Das schwierige Gelände fordert uns eine Menge ab, und jetzt verstehen wir den Sinn der Sicherheitsschuhe. Dann sehen wir die zwei stählernen Würmer, die sich über mehrere Hundert Meter auf Erdhaufen winden. Die Pipeline. Aber wieso zwei und nebeneinanderliegend? Und warum ist die eine schwarz und die andere weiß? Ein Arbeiter klärt uns auf: In der Nähe kreuzt die Pipeline einen Fluss, dazu werden Rohre mit einer anderen Beschichtung und somit auch einer anderen Farbe verwendet. Dieses spezielle Stück wird hier verschweißt. Die Pipeline überquert in Albanien viele Straßen, Eisenbahnlinien und Flüsse, was besondere Maßnahmen und Techniken erfordert. So werden längere Teilstücke zusammengeschweißt und anschließend unter einen Fluss oder durch einen vorgegrabenen Tunnel geschoben.

Pipelinebau ist Teamarbeit

Wir erfahren, dass wir Team 3 bei der Arbeit sehen. Der Pipelinebau ist in fünf Schritte aufgeteilt. Team 1 erkundete am Anfang die mögliche Route und steckte sie ab. In der Regel sollte der Baustellenkorridor 38 Meter breit sein, kann sich bei Bedarf aber auf 28 Meter und im Gebirge sogar auf nur 18 Meter verengen. Innerhalb dieses Streifens trugen Bagger und Raupen die oberste Erdschicht ab und ebneten die Oberfläche ein. Dann kam Team 2 und hob den Pipelinegraben aus – zwei Meter tief und vier Meter breit. Jetzt also ist Team 3 zugange. Es schafft die Röhren herbei, legt sie aus und schweißt sie zur Pipeline zusammen. Wenn dies geschehen ist, verlegt Team 4 die Pipeline in den Graben und bedeckt sie mit Erdreich. Am Ende tragen die Bagger des Teams 5 wieder die oberste Erdschicht auf und stellen den vorherigen Zustand des Baustellenkorridors so weit wie möglich her. Nichts soll daran erinnern, dass hier die Pipeline vergraben liegt.
 
Im Moment schlängelt sie sich aber noch überirdisch und hängt auch an einigen Stellen durch. Für die Rundnahtverschweißung müssen die Rohrkanten frei in der Luft hängen, weshalb die Pipeline auf kleinen Erdhaufen ruht und hier und da auch auf gestapelten Holzbohlen. Ein Provisorium, das einen sympathischen Kontrast zur organisatorischen Strenge des TAP-Projekts abgibt.

Die Arbeit des Teams 3 erinnert uns an ein Hütchenspiel: Kräne heben mobile Zelthütten über die Schweißstellen. Wird eine wieder abgehoben, stülpt der nächste Kran gleich eine andere darüber. Was geht da vor? Die Nähte werden in vier Arbeitsetappen verschweißt, wofür die verschiedenen Hütten nötig sind. Pro Naht, die exakt 3,83 Meter lang ist, dauert es etwa 25 Minuten, bis alle vier Schritte vollzogen sind. Uns fällt auf, dass überwiegend regionale Arbeitnehmer bei dem Projekt eingesetzt werden. Wir erfahren, dass von 1.700 Arbeitern rund 84% aus Albanien stammen. Die fertig verschweißte Pipeline schlängelt sich im Osten bis zum Horizont. Im Westen sehen wir auf der anderen Seite des Flusses die angelieferten Einzelrohre, deren Reihen ebenfalls bis zum Horizont reichen. Wo wird eigentlich gegraben, und wo wird die Pipeline in die Erde gelegt? Beides geschieht in jeweils etwa 25 Kilometer Entfernung, die gesamte Baustelle erstreckt sich also über mindestens 50 Kilometer. Die 25 Kilometer bis zu Team 2 oder 4 sind an diesem Tag eine zu weite Distanz, die Hin- und Rückfahrt würden uns angesichts der Straßenverhältnisse Stunden kosten, und wir wollen noch in den Norden zum Hauptlager der TAP.

Auf dem Feld der tausend Rohre

Es liegt dicht an der Autobahn, die von der Hafenstadt Durrës zur Hauptstadt Tirana führt – und ist entsprechend bequem zu erreichen. Von Mauern, Zäunen und Sicherheitskräften geschützt, stapeln sich auf dem 90.000 Quadratmeter großen Gelände die Rohre, die im nahe gelegenen Hafen entladen werden. Gleich hinter der Einfahrt entdecken Maria Mougtousidou und Carolina Eidt die Rohrbögen aus dem Rohrbiegewerk Mülheim – es ist ein Wiedersehen mit alten Bekannten, wie ein Blick auf die Beschriftung zeigt.
 
Daneben steht eine jener Hütten, die wir an der Baustelle an den Kränen hängen sahen. Die Türen sind geschlossen, im Inneren sprühen Funken: Arbeiter führen Probeschweißungen durch. Auch sie stammen aus Südamerika und trainieren hier jene Fertigkeiten, die sie später auf der Baustelle benötigen.
 
Das Hauptlager bietet einen guten Überblick über alle verschiedenen Großrohre, die für den Pipelinebau benötigt werden. Sie unterscheiden sich in der Länge, Beschichtung und in der Wandstärke: Insbesondere auf der Offshore-Strecke durch die Adria ist die Pipeline hohen Belastungen ausgesetzt.
 
Immer wieder fahren Spezial-Lkw mit sechs Achsen und langem Auflieger durch das gut bewachte Eingangstor. Sie müssen sich erst einmal hinten anstellen: Der Ladekran arbeitet zwar nonstop, doch die bis zu knapp 17 t schweren und meist 18 Meter langen Großrohre wollen behutsam angefasst werden. Der Vakuumheber des Krans saugt sich an das Rohr und hievt es langsam in die Höhe, zwei „Strippenzieher“ stabilisieren es mit einem Seil an jedem Ende des Hebers, damit das Großrohr zentimetergenau auf die Ladefläche gesenkt werden kann. Zwei Stück passen auf einen Lkw. Eine Schiffsladung kann rund 1.200 Großrohre plus einiger Rohrbögen anliefern, was erahnen lässt, wie viele Lkw hier auf den Straßen unterwegs sind. Mehrere nagelneue Geländewagen der „Policia Rrugore“, der albanischen Verkehrspolizei, stehen bereit und zeigen uns ein weiteres Mal: Sicherheit geht beim Bau der Trans-Adria- Pipeline vor. Sie hat aber auch irgendwann ein Ende. Es kommt der Moment, in dem wir uns der Helme, Schuhe, Brillen und Westen entledigen können. Vorher schauen wir uns aber noch einmal um, sicher ist sicher. Nicht dass noch im allerletzten Moment ein Bär unsere Bekanntschaft sucht.