Maß genommen

23.04.2018


Konzernmagazin Nr. 1/2018

Prinzip Qualität: Produzieren, was der Kunde wünscht

Die Entdeckung der Qualität

Qua|li|tas [lat.] f Beschaffenheit – Schon früh erkannte der Mensch, wenn etwas gut war. Doch erst spät schuf er Normen, Prozesse und Siegel für die Qualitätssicherung. Anlass zu „Made in Germany“ waren Produkte aus Stahl.
 
Wann könnte der Mensch eine Vorstellung von Qualität entwickelt haben? Als er die Wahl hatte zwischen einem mageren, leicht zu erlegenden Mammut und einem gefährlichen, aber kräftigen Tier mit dickem Fell und reichlich Speck? Die Pyramiden von Gizeh jedenfalls wären kaum als einziges der antiken Weltwunder bis heute bestehen geblieben, hätten nicht Qualitätswächter beim Bau auf Präzision und Maßgenauigkeit der Steinblöcke geachtet – sie wurden millimetergenau aus dem Fels geschlagen. Der griechische Philosoph Aristoteles definierte im vierten vorchristlichen Jahrhundert die Qualität bzw. die Beschaffenheit als eine von zehn Merkmalen, die jeder Sache eigen sind – und sie entscheidend prägen. Zwei Dinge können scheinbar identisch sein, sich in ihrer Beschaffenheit aber so unterscheiden, dass sie von anderem Wert sind – Münzen mit wechselndem Edelmetallgehalt sind hierfür ein gutes Beispiel.
 
Die Idee, Standards für eine Ware oder Dienstleistung festzulegen und für deren Qualität zu bürgen, drang verstärkt in das Bewusstsein der Menschen, als sich Handwerker um das Jahr 1000 erstmals in Zünften organisierten. So produzierten beispielsweise die Zünfte der Brauer im Norden Deutschlands und insbesondere in Einbeck bald ein ausgezeichnetes Bier, das die Obrigkeiten im Süden des Reiches angesichts des dort fabrizierten Gebräus zu verschiedenen Qualitätserlassen veranlasste. Diese mündeten 1516 in eine Landesverordnung für ganz Bayern, die für das Bier fortan die Inhaltsstoffe festlegte. Das berühmte Reinheitsgebot war geboren – und zwar nicht, um bewährte Qualität zu schützen, sondern um mindere auszumerzen. Legenden überliefern, mit welchem Verfahren die Bayern ihre Qualitätsnorm überprüften: Nur wenn die Holzbank beim Aufstehen an den mit Gerstensaft vollgesogenen Lederhosen kleben blieb, enthielt das Bier ausreichend viel Malz und durfte ausgeschenkt werden.
Bis ins späte 18. Jahrhundert hinein unterschieden die Menschen hauptsächlich bei Nahrungsmitteln und handwerklicher Arbeit, zu der damals auch die Produktion von Kleidung gehörte, zwischen guter und schlechter Qualität. Im Zuge der industriellen Revolution richtete sich dieses Interesse auch auf maschinell hergestellte Waren.
Damit geriet viel stärker als zuvor der Herstellungsprozess in den Blick jedes Qualitätswächters. Wollte er die Beschaffenheit eines Produkts verbessern, hatte er in den Betrieben nun auch auf die Produktionsmaschinen und die Organisation der Herstellungsprozesse zu achten, die sich durch die neuartige Arbeitsteilung verkompliziert hatten. Zudem standen an den Maschinen meist ungelernte Arbeiter, die oft in langen Schichten und im Akkord die Produkte fertigen mussten. In der Auseinandersetzung mit diesen Bedingungen liegen die Wurzeln dessen, was heute ein modernes Qualitätsmanagement ausmacht.

Da die Industrialisierung in England begann, besaß das Königreich einen technologischen Vorsprung gegenüber anderen Nationen. Englische Waren waren entsprechend hochwertig – im Gegensatz zu den Produkten, die vom Kontinent und seit dem Mitte des 19. Jahrhunderts auch aus Deutschland in die Märkte des Empire drängten.
Deutsche Industrieprodukte galten als minderwertig – und waren es auch. Von der Weltausstellung 1876 in Philadelphia berichtete der deutsche Maschinenbauprofessor Franz Reuleaux, Direktor des Berliner Gewerbeinstituts und Jury-Mitglied der Ausstellung, die deutschen Industrieprodukte seien „billig und schlecht“. Sein vernichtendes Urteil ergänzte er um einen Appell an die deutschen Fabrikanten: „Den Weltmarkt erobert ihr nicht mit solchen Billigprodukten, sondern mit Qualität!“
In den 70er- und 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts glich der Ruf deutscher Produkte dem der Billigware aus China in unseren Tagen: Es waren unverfrorene Imitate britischer oder amerikanischer Produkte von zweifelhafter Qualität.
Deutsche Fälschungen englischer Stahlprodukte zwangen die britische Regierung schließlich zum Handeln: In der Stahlwarenhochburg Sheffield erregten Messer, Scheren, Feilen und Klingen aus dem Deutschen Reich die Gemüter der heimischen Fabrikanten. Sie waren statt aus Stahl aus Eisen gefertigt und – schlimmer noch – erweckten durch Aufdrucke wie „Sheffield made“ den Schein, aus englischen Schmieden zu stammen.
Als Gegenmaßnahme reformierte das britische Parlament 1887 den „Merchandise Marks Act“: Um heimische Käufer zu warnen, zwang der Erlass die Importeure, die minderwertige Nachahmerware aus dem Ausland zu brandmarken. Fortan trugen Importe aus Deutschland den Warnhinweis „Made in Germany“.
Die Ironie, dass diese ursprünglich abwertende Kennzeichnung schon bald zu einem Qualitätsausweis wurde, ist allgemein bekannt. Die deutschen Fabrikanten hatten sich Reuleaux’ Appell zu Herzen genommen und zum Beispiel Forschungsabteilungen eingerichtet, die wissenschaftliche Erkenntnisse in die Produktplanung und Produktion einfließen ließen. Sie entwickelten Standards für die Ausbildung, investierten in neue Maschinen und warben den britischen Konkurrenten Experten ab. Schon Ende des Jahrhunderts griffen englische Verbraucher ganz gezielt nach Messern, Werkzeugen oder Nähmaschinen „Made in Germany“, weil sie bei Waren mit diesem Siegel auf eine hohe Qualität vertrauen durften. Womöglich wären deutsche Exporte schon im frühen 20. Jahrhundert zu Weltmeisterehren gelangt, hätten nicht die beiden Weltkriege die Entwicklung gestoppt. Insbesondere während des Zweiten Weltkrieges wurden im Zuge der Produktion kriegswichtiger Güter wissenschaftliche Erkenntnisse zur Qualitätssteuerung vermehrt berücksichtigt – denn längst hatten sich auch andere kluge Geister als Aristoteles über die Beschaffenheit der Dinge den Kopf zerbrochen und beispielsweise statistische Methoden zur Qualitätssteuerung entwickelt.

Vor allem amerikanische Unternehmen erkannten schon früh, dass es billiger war, im Herstellungsprozess von Anfang an höhere Qualitätsanforderungen an Material und Fertigung zu stellen, als nach der Produktion fehlerhafte Waren auszusortieren und zu reparieren.
In der Kriegsproduktion des Zweiten Weltkrieges konnte ein Materialfehler den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Folglich setzten die US-Streitkräfte moderne Verfahren zur Qualitätssicherung um, wie die Kontrolle der Zulieferer und die statistische Prozesskontrolle. Hierbei wurden sämtliche Produktionsprozesse kontinuierlich überwacht und alle für die Produktqualität relevanten Kennzahlen erfasst sowie ausgewertet. Heute sind diese Methoden fester Bestandteil eines modernen Qualitätsmanagements.
Nach dem Krieg nahm die Konzentration auf hohe Qualitätsstandards zunächst wieder ab. Der allgemeine Mangel und die hohe Nachfrage schufen einen „Herstellermarkt“ mit schwachem Wettbewerb und entsprechend geringer Bedeutung der Qualität für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Produkte verkauften sich, auch wenn sie eventuelle Mängel aufwiesen.

Nur in Japan verlief die Entwicklung etwas anders. Das Land setzte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft nach dem Krieg konsequent auf ein Qualitätsstreben. Die „Japanese Union of Scientists and Engineers“ lud amerikanische Wissenschaftler zu Vorträgen ins Land, aus deren Lehren sie ihre Managementphilosophie entwickelten.
Zur Systematik der Wissenschaftler gehörte etwa die Definition des Qualitäts-Regelkreises: Abweichungen von der Norm werden zuerst analysiert, dann werden ihre Ursachen aufgespürt und beseitigt. Andere Beispiele sind erstens die Prinzipien der Qualitätsplanung, welche Qualitätsziele und entsprechende Produktionsprozesse sowie Qualitätskontrollen definiert, zweitens die Festlegung der Regeln für die Qualitätsbewertung samt Ableitung nötiger Maßnahmen und drittens das Ziel einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung.

Von US-Wissenschaftlern Qualität lernen – das Phänomen Japan

Die japanischen Manager nahmen diese Lehren nicht nur auf, sondern entwickelten sie noch weiter. Sie schärften das Bewusstsein für die Kundenorientierung in ihren Betrieben, indem sie unter ihren Mitarbeitern Lieferanten-Kunden-Verhältnisse schufen. Jeder, der von der japanischen Mentalität eine Vorstellung hat, kann sich ausmalen, was für einen Gesichtsverlust es für einen Mitarbeiter bedeutete, wenn er in der Produktionskette seinem Kollegen ein Werkstück lieferte, das nicht die Erwartungen erfüllte. Auch wurden alle Mitarbeiter in die Prozesse der Qualitätskontrollen einbezogen – jeder fühlte sich so für die Qualität des Endproduktes mitverantwortlich.
Bald waren die besten Geräte in der Unterhaltungselektronik, die besten Kameras und die besten Motorräder „Made in Japan“ – und ab den 70er-Jahren rollten auch japanische Autos, die gewiss nicht zu den schlechtesten gehörten, auf allen Straßen der Welt. Die Fokussierung auf die Qualität war der Schlüssel für den wirtschaftlichen Aufschwung und Erfolg Japans in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn der „Herstellermarkt“ hatte sich durch die wachsende Zahl an Anbietern und der gestiegenen Produktion zu einem „Kundenmarkt“ gewandelt, auf dem die Verbraucher auswählen konnten und die Qualität einer Ware zu einem wichtigen Verkaufskriterium wurde.

Von wegen „Best of “ – das falsche Verständnis des Qualitätsbegriffs

Europa dagegen blieb in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ein Spätzünder und entdeckte erst später die Grundlagen des modernen Qualitätsmanagements. Die Entwicklung wurde gefördert durch die Gründung von Institutionen, so 1956 der „European Organization for Quality Control“ (EOQC) und der „European Organization for Quality“ (EOQ), die heute das größte Qualitätsmanagement- Netzwerk Europas ist und in der Deutschland durch die „Deutsche Gesellschaft für Qualität“ (DGQ) vertreten wird.
Zu den Institutionen gesellten sich die Normen. Das altbekannte, 1917 gegründete „Deutsche Institut für Normen“ (DIN) und die „Internationale Organisation für Normung“ (ISO) entwickelten Normen für das Qualitätsmanagement wie DIN 55350 und ISO 9000ff. Das bedeutet aber auch: Die Erfüllung der ISO-Normen nach ISO steht nicht primär für Produktqualität, sondern für ein standardgemäßes Qualitätsmanagement im Herstellungsprozess.
Ein anderer häufiger Irrtum ist oft beim Verständnis des Begriffes zu finden. So bedeutet Qualität nicht das Bestreben nach Perfektion, sondern die Garantie, dass eine Ware alle Anforderungen des Kunden an ihre Beschaffenheit erfüllt. Die Qualität ist somit auch eine Frage der Quantität, denn sie wird durch die Zahl der Eigenschaften einer Ware definiert, die es bei der Produktion zu berücksichtigen gilt. Folglich ist Qualität also immer relativ und eher ein Maß für die Kundenzufriedenheit als ein Synonym für das Bestmögliche.
So leben wir heute in einer Welt der DIN und ISO, der Garantie- und Gewährleistungsansprüche und des permanenten Misstrauens in die Beschaffenheit unserer Produkte – und das ist auch gut so. Denn Qualität garantiert letztlich Sicherheit, wie die Produktion der Präzisrohre für die Automobilbranche zeigt. Qualitätsmanagement ist in allen Branchen eine unverzichtbare betriebswirtschaftliche Disziplin geworden. Kein Produkt und noch nicht einmal ein Vorprodukt, wie die Bramme aus dem Hüttenwerk, das Grobblech aus dem Walzwerk oder die Luppe für die Rohrproduktion, rollt heute ohne automatisierte und kontinuierliche Qualitätskontrollen vom Hof. In der Produktwelt ist die Beschaffenheit zu einem wesentlichen Merkmal jeder Sache geworden – ganz im Sinne von Aristoteles.


Präzision aus Brackwede

Wenn schon die Produktbezeichnung einen Hinweis auf besondere Qualitätsansprüche in sich trägt, muss man einfach neugierig werden – zumal der Hinweis auf Präzision auch Teil des Firmennamens ist. Die Mannesmann Precision Tubes GmbH (MPT) gehört innerhalb des Salzgitter- Konzerns zum Geschäftsbereich Mannesmann und koordiniert dort den Bereich Präzisrohre, der sich auf neun Standorte in vier Länder verteilt (siehe Bild rechts). Der Firmensitz befindet sich in Mülheim/Ruhr.
MPT fertigt nahtlose und geschweißte Präzisionsstahlrohre u.a. für Kunden der Automotive- Branche, der Industrie und der Energiewirtschaft (siehe Seite 20). Sie werden verwendet für druckführende Leitungen, Fahrwerk- und Lenkungsteile, Hydraulik- und Pneumatikkomponenten, Kessel- und Wärmetauscherrohre in Kraftwerken, zur Herstellung von Bohrgestängen und Hochleistungspumpen und vielem mehr.
Besonders interessant hinsichtlich der Qualitätsanforderungen ist das Werk Bielefeld-Brackwede, da nur hier besonders kleine nahtlose Präzisionsstahlrohre mit einem Außendurchmesser ab 1,5 mm und Wanddicken ab 0,2 mm gefertigt werden. Der Begriff „Präzisrohr“ steht u.a. für extrem kleine Toleranzen – akzeptabel sind zum Beispiel maximal +/–0,08 mm im Durchmesser. Der Kunde kann aber noch geringere Maximalabweichungen festlegen, technisch liegt die Toleranzgrenze bei 0,05 mm.
In Brackwede gibt es drei Fertigungsbereiche: den Großrohrbereich für Rohraußendurchmesser von 42 bis 120 mm, den Mittelrohrbereich (22 bis 42 mm) und den Feinrohrbereich (1,5 bis 22 mm). Rund 3.400 t Material werden pro Monat in Brackwede hergestellt bzw. – in diesem Röhrenwerk misst man das Produktionsergebnis in Strecke – rund 3.400 km Rohre gefertigt. Die Jahresproduktion entspricht der Strecke einmal um die Erde.
Wenn in Brackwede die Luppen aus Zeithain ankommen (siehe rechts), sind sie schon lange auf dem Radar der Qualitätskontrolle. Sämtliche Prozessdaten werden von Anfang an automatisch erfasst und überprüft. Bei Abweichungen schlägt das System Alarm, sodass Experten prüfen und entscheiden können, ob das Material für die Präzisrohrproduktion geeignet ist. Eine Kontrolle der Legierungszusätze ist insofern wichtig, da sie entscheidend sind für die Verformbarkeit und die späteren Eigenschaften der Präzisrohre. Je nach Anwendung können diese sehr verschieden sein. Mal ist die Druckfestigkeit eines Rohres die wichtigste geforderte Eigenschaft, mal die Zugfestigkeit oder die Torsionsfestigkeit – die Stabilität gegen Verdrehen. Für einen anderen Kunden, etwa wenn die Rohre als Grundmaterial für Kugel- oder Gelenklager dienen, ist ihre Oberflächenqualität die wichtigste Anforderung.
Bevor die Luppen weiterverarbeitet werden, bekommen sie Angeln – ein dünneres Ende, an dem sie in weiteren Produktionsprozessen maschinell gegriffen und durch die Ziehmaschinen gezogen werden können. Ein Mitarbeiter überprüft mit einer einfachen Schablone den Durchmesser der Angeln – schon bei der Produktionsvorbereitung ist also ein Mindestmaß an Präzision gefragt.
Die nächste Station im Fertigungsprozess stellt die Beschaffenheit und somit die Qualität der späteren Präzisrohre sicher. In der chemischen Rohrvorbereitung werden die Luppen „gebadet“, damit sie bei der späteren Kaltumformung an den wichtigen Stellen immer ausreichend geschmiert bleiben. Die Oberflächenbehandlungsanlage besteht aus 18 Becken bzw. Stationen, in denen das Material gebeizt bzw. „gebondert“ wird. Dabei werden die Rohre u.a. mehrmals in Schwefelsäure und eine Zink-Phosphat-Lösung getaucht, zwischendurch in kaltem und heißem Wasser gespült und ein haftender Schmierfilm aufgetragen. „Das Zink-Phosphat ummantelt das Rohr wie ein Schwamm, der das Schmiermittel aufsaugt und so für eine ununterbrochene Schmierung während der Umformung sorgt“, sagt Detlef Lange, der als Betriebsassistent im Fein- und Mittelrohrbereich in Werk Brackwede jeden Prozessschritt kennt und zu erklären weiß.

Er betont, dass die Rohre ab jetzt mit „Samthandschuhen“ angefasst werden: Die Ziehwerkzeuge sind CVD-beschichtet: Ihre Oberfläche wurde durch ein aufwendiges Verfahren (chemische Gasphasenabscheidung) so behandelt, dass sie Ziehkräften von bis zu 120 t standhalten und dabei auch nicht die Rohroberflächen beschädigen. Zudem ergreifen Roboterarme die Rohre und stapeln die dünnsten in der Trommelzieherei, wo sie zu Coils gewickelt sind, übereinander. Die mechanischen Greifer sind feinfühliger und griffsicherer als die Hände eines Menschen und beschädigen nicht die Rohroberflächen.
Nun folgen vier Schritte: Ziehen, glühen, adjustieren und schneiden. Sie wiederholen sich in der Fertigungskette oft mehrfach, was die Fertigungstiefe in Brackwede zeigt. Erst dann sind aus den Luppen Präzisstahlrohre geworden, die für die Auslieferung gebündelt und verpackt werden können. Während des gesamten Prozesses kontrollieren Mitarbeiter mithilfe moderner Prüftechnik die Qualität der Rohre.

Prüfen und wachsam bleiben: Jeder Mitarbeiter ist auf Qualität geeicht

So begutachtet der Zieher Sahmettin Yilmazer am Monitor der Ziehmaschine, wie aus der dicken kürzeren Luppe ein längeres dünneres Rohr wird. Hierfür treibt die Maschine in die Öffnung der Luppe einen Dorn, der den Innendurchmesser vorgibt. Zugleich wird die Luppe durch einen Ziehring gezogen, der den Außendurchmesser formt. Auf dem Bildschirm sind alle Maße und Auftragsdaten zu sehen. Werden die Toleranzen nicht eingehalten, fällt das Sahmettin Yilmazer sofort ins Auge.
Jeder Mitarbeiter ist an seinem Arbeitsplatz für die Einhaltung der Anforderungen verantwortlich. Wichtig ist hierbei die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander. An jedem Tag versammeln sich die Verantwortlichen eines Bereichs am sogenannten Stammtisch, um Probleme anzusprechen und zu lösen. Grüne Magnet-Smileys an einer Pinnwand signalisieren, dass heute wie an den meisten Tagen alles in Ordnung ist.
Auch Edgar Friesen, Coach (Meister) in der Glüherei, hat heute nichts zu beanstanden. Das Glühen ist nötig, weil durch das Ziehen das Rohr zwar in Form gebracht wird, sich aber die Eigenschaften des Materials verändern. Im Ofen erhält der Stahl die Beschaffenheit, die vom Kunden bzw. der Anwendung gefordert werden.
Nach dem Glühen werden die Rohre in den Adjustage-Bereichen über eine 10-Walzen-Richtmaschine gerichtet – man könnte auch sagen: in Höchstform gebracht. Die Rohre sind nun gerade und spiegelglatt – für das Auge sind sie perfekt, aber entsprechen sie wirklich den Anforderungen?

Das weiß Udo Liss, Experte der Zerstörungsfreien Prüfung, zu beantworten. Seine Anlage sucht mit Ultraschallwellen nach Fehlern im Material. Die Dichtigkeit der Rohre wird durch eine Wirbelstromprüfung kontrolliert, die insbesondere bei druckführenden Leitungen wichtig ist. Dr. Michael Tschirnich, Leiter Qualitätswesen, erklärt den Vorgang: „Die Ultraschallwellen tauchen in das Material ein und reflektieren Unvollkommenheiten. Diese Echos werden registriert, ausgewertet und dienen zur automatischen Sortierung.“ Bei Bedarf kann aus der zerstörungsfreien eine „zerstörende“ Prüfung werden. Dann wird aus dem Rohr ein Stück herausgeschnitten und geschliffen. Unter einem Mikroskop sind die minimalen Risse, die der Ultraschall signalisiert hat, nun auch optisch zu erkennen. Viele Kunden, vor allem aus der Automotive- Branche, stellen auch hohe Anforderungen an die Oberflächenbeschaffenheit der Präzisrohre. Diese zu prüfen ist u.a. die Aufgabe von Dennis Heidebrecht in der Adjustage 5. Er beaufsichtigt die automatische Oberflächenkontrolle. Hier scannt ein Kamerasystem die gesamte Rohroberfläche mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Metern pro Minute. Ein Monitor zeigt die Aufnahmen in Echtzeit an. Das ca. 14 mm dicke Rohr ist auf dem Bildschirm viele Zentimeter breit – und eine kleine Unregelmäßigkeit von wenigen Zehntelmillimetern deshalb gut zu erkennen.
Das System signalisiert die Abweichung durch ein kleines Quadrat. Es leuchtet grün, die Anomalie liegt also noch innerhalb der Toleranzen. Leuchtete es rot, wäre die Toleranzgrenze überschritten und das Rohr würde automatisch aussortiert werden. Die Strenge ist wichtig, denn das System prüft gerade Präzisrohre für Gurtstraffer in Autos. Die Qualitätskontrolle dient folglich unser aller Sicherheit.

Präzisrohre für Kunden aus China: Qualität bleibt eben Qualität

Einige Rohre kommen zusätzlich in die Galvanisierungsstraße bzw. Verzinkungsanlage. Hier wird eine Zinkschicht aufgetragen. Sie schützt den Stahl vor der sogenannten roten Korrosion und die anschließende Passivierung das Zink vor dem weißen Rost. Jede Stunde wird eine Quetschprüfung durchgeführt, ein Stück Rohr also an mehreren Stellen zusammengedrückt.
Am Ende werden die Präzisstahlrohre gemäß der Kundenwünsche gebündelt und verpackt. Übereinandergestapelte Holzkisten in der Packerei lassen erahnen, dass manche Produkte aus Brackwede eine Weltreise antreten. Auf einigen Versandetiketten stehen Adressen in Ländern aus aller Welt, wie z.B. China, wo Rohre dieser Präzision bzw. Qualität offensichtlich noch nicht produziert werden können.

Bestimmt liegt dieser Vorsprung auch daran, dass im Zuge der Qualitätssicherung die Kommunikation zwischen dem Werk und dem Kunden so wichtig ist. Fast immer wird mit dem Kunden die Liefer- und Prozesskette festgelegt und nur gemeinsam geändert. Alle Modifikationen wie zum Beispiel das Gießtempo bei HKM, das die Stahlgüte beeinflussen kann, müssen insbesondere für Rohre im Automobilbereich kommuniziert und erneut freigegeben werden, zudem werden alle Prozessschritte dokumentiert und alle Prüfergebnisse aufbewahrt.
Letztlich definiert sich Qualität so, dass die vom Kunden definierten Anforderungen an die Beschaffenheit eines Produkts erfüllt werden. Oft gehen die Vorgaben über gängige Normen hinaus, die ergänzenden Anforderungen der Autoindustrie gemäß der Norm IATF 16949 sind ein Beispiel hierfür. Manchmal wünscht ein Kunde auch Rohre mit einer neuen Stahlgüte. Dann müssen die Verantwortlichen in Mülheim im Stahlwerk erst anfragen, ob der Auftrag realisiert werden kann.
Auch kommt es vor, dass ein Kunde zusätzliche Prüfverfahren vorgibt. Dann erhalten die MPTWerke konzerninterne Unterstützung bei der Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH (SZMF). Deren Experten können leisten, wozu Mitbewerber oft einen externen Anbieter benötigen.
Hier zeigt sich ein großer Vorteil, mit dem die Mannesmann Precision Tubes GmbH beim Kunden punkten kann. MPT bietet ein Gesamtpaket – alle Leistungen kommen aus einem Konzern, von der Stahlherstellung über die Luppen- und Präzisrohrproduktion bis hin zu den wissenschaftlichen Prüfverfahren der SZMF.
Damit will man sich bei MPT und in Zeithain bei MRW aber noch nicht zufriedengeben. Die Vision ist es, die Wertschöpfung noch weiter auszubauen, indem man die Anarbeitungsoptionen erweitert. Das Ziel ist es, dem Kunden einmal einbaufertige Präzisstahlrohre anbieten zu können. Am hierfür nötigen Qualitätsmanagement und an der Motivation der Mitarbeiter wird die Umsetzung dieses Plans sicher nicht scheitern.